weißer neger (white nigger) 2011

Video-Instal­la­tion mit Live-Performance-Lesung.

In 2012 wurde eine DVD zur Projek­tion des Gedicht-Layouts produ­ziert (Bild­format 4:3), mit einer nicht synchro­ni­sierten doppelten Voice-Over-Tonspur. (42 Minuten, Trailer: 2 Minuten).

Infor­ma­tion
Gedichte, Design
Ton-Aufnahme 1. Tanya Ury 2. Jules Desgoutte
Video Edit Mirco Sanftleben
Lektorat Amin Farzanefar

Das Live-Konzert CrissCross/​Anamnesis #10“ des Kompo­nisten und expe­ri­men­tellen Live-Musi­kers Jules Desgoutte, beinhal­tete Ausschnitte bear­bei­teter Aufnahmen aus der Gedicht­reihe weißer neger von Tanya Ury und Ausschnitten aus Krýstóf Szabós DER VERREIFTE GARTEN BAUCH LIEBSTER ATEM, Sa., 13. Oktober 20:00 Uhr & So., 14. Oktober 18:00 Uhr, Barnes Crossing in der Wachs­fa­brik, Köln (D)

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Das Stück weißer neger ist, ebenso wie half dimen­sional poems (halb­di­men­sio­nale Gedichte, 2009 – 2011) und cement (Befes­tigte Gedichte 2011) auf Englisch und Deutsch als Gedicht­verse geschrieben. In Stil und Absicht ist es auch konkrete Poesie“, eine Kollek­tion aus durch­ein­ander gewor­fenen, abstrakten Gedanken, miss­ver­stan­dener Unter­hal­tung und falsch gele­senen Texten, die alle zusammen, Alltag und Gemüt der jüdi­schen Künst­lerin reflek­tieren. Aber im Unter­schied zu Tanya Urys anderen Beispielen konkreter Poesie, wird dieses Stück als Perfor­mance mit mehreren Darstel­lern vorge­tragen und schließt an die Themen jüdi­sche Iden­tität und Leben in Deutsch­land heute an.

Im Sommer 2010 begab ich mich nach einer Brust­krebs­be­hand­lung zur Kur nach Scheidegg im Allgäu. Am ersten Abend in der Klinik setzte ich mich zu einer Gruppe von Frauen, die draußen auf der Terrasse über das Wetter redeten. Es herrschte eine Hitze­welle und ich erzählte, dass ich oft schon vorher wusste, wann es regnen würde, weil meine Haare stark auf Luft­feuch­tig­keit reagierten. Eine ältere Frau neben mir betrach­tete mich und meine krausen grauen Haare und verkün­dete Weißer Neger“.

Du bist, was Du sagst und obwohl diese Frau es viel­leicht nicht absicht­lich böse gemeint hat, war ihre Aussage doch rassis­tisch. Keine der anderen Frauen reagierte auf meinen entsetzten Gesichts­aus­druck. Als die naïve Frau weiter fragte, woher ich denn käme (wahr­schein­lich in der Erwar­tung, dass ich mein medi­terran-wirkendes Haar mit einer exoti­schen Herkunft erklären würde) verkün­dete ich, dass meine Groß­el­tern aus der Gegend stammten und von Ulm aus ins KZ verschleppt wurden, und jetzt reicht’s mir aber. Ich bin aufge­standen, habe mich von den Frauen entfernt und am nächsten Tag bin ich wieder nach­hause abge­reist – mir war klar, dass das einzige, was mich mit dieser Runde von deut­schen Frauen an diesem Ort verband, unsere Krebs­krank­heit war.

Den Begriff Weißer Neger“ hatte ich schon mal gehört: 2004 veröf­fent­lichte Axel Hacke ein Buch, dessen Titel Der weiße Neger Wumbaba“ sich von einer falsch inter­pre­tierten Zeile aus dem Lied Der Mond ist aufge­gangen“ herleitet: Der Wald steht schwarz und schweiget /​und aus den Wiesen steiget /​Der weiße Nebel wunderbar.“ Den letzten Vers hatte Hacke in seiner Kind­heit als Der weiße Neger Wumbaba“ miss­ver­standen. Wenn man bewusst ein Buch mit einem solche frag­wür­digen Titel veröf­fent­licht, ist es ohne Frage eine rassis­ti­sche Handlung.

Tanya Ury

Stel­lung­nahme zu Der weiße Neger Wumbaba
Der Afri­ka­ni­sche Dach­ver­band Nord­deutsch­land e.V. (ADV-Nord e.V.) möchte sich an der seit geraumer Zeit kontro­vers gefährten Diskus­sion einer Deutung des Titels sowie der Abbil­dungen auf den Covern der Buch­reihe Der weiße Neger Wumbaba” von Axel Hacke und Michael Sowa betei­ligen und gibt die folgende Stel­lung­nahme ab.

Es ist für den Verband nicht nach­voll­ziehbar und völlig unver­ständ­lich, dass für diese Bücher, die sich mit dem Thema des Verhö­rens von verschie­denen Lied­texten befassen, dieser Titel und die Abbil­dungen eines weiß ange­malten Afri­ka­ners ausge­wählt wurden. Die Verwen­dung des Wortes Neger” sowie die weiter repro­du­zierte Abbil­dung der Kari­katur eines Afri­ka­ners Knochen im Haar, Wulst­lippen und Bast­rock” auf dem Buch­de­ckel ist für uns nicht hinnehmbar. Diese Kari­katur erin­nert stark an Abbil­dungen früherer Zeiten, von denen wir gehofft hatten, dass sie mitt­ler­weile über­wunden sind. Ohne den Autoren oder dem Verlag eine explizit rassis­ti­sche und stereo­ty­pi­sie­rende Haltung unter­stellen zu wollen, ist es für den ADV-Nord e.V. erschre­ckend fest­zu­stellen, dass eine Sensi­bi­li­sie­rung für die Nicht-Verwen­dung rassis­tisch geprägter Wörter und Bilder noch nicht in ausrei­chendem Maß statt­ge­funden hat. Das mitt­ler­weile zu Recht aus dem allge­meinen Sprach­ge­brauch verbannte Wort Neger” spie­gelt für afri­ka­ni­sche Menschen nicht nur den irrtüm­lich über­wunden geglaubten Schmerz der Skla­verei, der Unter­drü­ckung und der Verbre­chen durch den Kolo­nia­lismus sowie die Schre­cken des Natio­nal­so­zia­lismus wieder, sondern ruft auch die Diskri­mi­nie­rungen, die Herab­wür­di­gungen wach, denen schwarze Menschen immer noch alltäg­lich ausge­setzt sind. Der Ausdruck gehört darüber hinaus dem Sprach­ge­brauch von frem­den­feind­li­chen, rassis­ti­schen und menschen­ver­ach­tenden Orga­ni­sa­tionen an, die mit der Verwen­dung des Wortes Neger” eindeutig darauf abzielen, Menschen mit dunkler Haut­farbe zu ernied­rigen und zu beleidigen.

Der ADV-Nord e.V. setzt sich aktiv für positiv verlau­fende Inte­gra­ti­ons­pro­zesse ein, er enga­giert und betei­ligt sich auch, wenn andere Orga­ni­sa­tionen und Insti­tu­tionen gegen Diskri­mi­nie­rung, Rassismus und Frem­den­feind­lich­keit aufrufen. Umso bedau­er­li­cher ist es zu erleben, dass dieses Enga­ge­ment durch die Repro­duk­tion rassis­ti­scher Stereo­typen konter­ka­riert wird.

Es geht dem ADV-Nord e.V. mit dieser Stel­lung­nahme ausdrück­lich nicht ledig­lich um einen Beitrag zur poli­tisch korrekten Verwen­dung von Begriffen und Bildern, sondern um ein tiefer­ge­hendes Verständnis; es geht um eine Sensi­bi­li­sie­rung dafür, wie belei­di­gend und herab­wür­di­gend derar­tige Rassismen für afri­ka­ni­sche Menschen sind auch dann, wenn sie gar nicht so gemeint sind.

Wir alle, die hinter dem Verband stehen, streben eine Atmo­sphäre der gegen­sei­tigen Aner­ken­nung und des Respekts für alle Teile der Gesell­schaft in Deutsch­land an und laden die Menschen ein, sich mit rassis­tisch besetzten Bildern und Begriffen reflek­tiert und kritisch ausein­ander zu setzen, damit der Dialog auf Augen­höhe gewähr­leistet ist.

Hannover, im März 2010 Abayomi O. Bankole Vorsit­zender des ADV-Nord e. V. Dr. jur. Arnaud Lionel Ngassa Djomo Dele­gierter beim ADV-Nord e.V.
www​.adv​-nord​.org

Tanya Urys geschrie­bene Poesie könnte man als konkret“ bezeichnen: wegen des visu­ellen Design beim Betrachten und wegen des unkon­ven­tio­nellen Klangs beim Aufsagen derselben – die Texte gewinnen dadurch Dimen­sionen jenseits der gängigen Wort-Bedeutung.

2011 gestal­tete Ury 17 konkrete Gedichte als Bild­ge­dichte“ (sowohl als Online- wie als Druck­fas­sung (23,532,45 cm), Bild­be­ar­bei­tung Mirco Sanft­leben. Zwei dieser Poeme – femin­inity, femi­ni­nia­tion – erschienen einzeln, die anderen als Teile der Serien cement, weißer neger, concrete party & oral call, cross word, toned poems, two toned, pommes, taste of space, leeres archiv und seit 2011 hat Tanya Ury zusammen mit Kasander Nilist (Kontra­bass, Ton und Schnitt) auch sechs der eher tradi­tio­nellen Gedichte aus ihrer Poesie-Reihe aufge­zeichnet (toned poems: 5.54 Minuten). Die Aufnahme erscheint Online in der Juni-Edition von Imagi­na­tions – Journal of Cross-Cultural Image Studies, Univer­sität von Alberta (CA), die sich der Künst­lerin Ury widmet.
www​.csj​.ualberta​.ca/im…

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Auch andere Kunst­ar­beiten Urys lassen sich als visu­elle Poesie“ verstehen. Moving Message 1992, beinhaltet ein LED-Display mit den Wörtern: you are why; Sonata in Sea 1999 – 2000 ist eine Photo­serie kombi­niert mit Poesie und wrest­le­wi­th­y­ou­rangel 2001 ist ein Neon­leucht­zei­chen, das zusammen mit dem Neon­zei­chen neonazi 2001 ange­fer­tigt wurde; der Titel eines Photo-Doppel-Porträts lesser is me more or less 2003 spielt auf den Namen von Lesser Ury an, den deut­schen Post-Impres­sio­nisten, sowie auf den Titel eines weiteres Doppel-Porträts or else 2007, der auf die deut­sche Autorin Else Ury deutet. Der Titel eines dritten Porträt-Photos Beel­ze­bu­larin 2005 (in der Serie Promised Land) entschlüs­selt sich als Anagram des bibli­schen Bezalel Ben Uri“. half dimen­sional – semi detached 2010 schließ­lich kombi­niert das erste der half dimen­sional poems mit der Photo­gra­phie semi detached.


concrete – Eine Werkserie (Beinhaltet Gedichtreihen)


Präsen­ta­tion

2012 (11.6) Die Juni-Online-Ausgabe von Imagi­na­tions: Journal of Cross-Cultural Image Studies, Univer­sität von Alberta, Kanada, stellt die Künst­lerin Tanya Ury vor, mit neuen Arbeiten – Videos: Inti­macy, cement & dark room; eine Serie von 17 concrete poems, die Photo­gra­phie Alibi­jude, Selec­tion aus der Who’s Boss-Serie, und 8 Photos aus Soul Brot­hers & Sisters. Außerdem: 3 Photos von Occupy in Stras­bourg, aus der Serie Fading into the Fore­ground; und weitere 6 toned poems (Sounds, Musik & Tonmi­schung: Kasander Nilist) sowie einem Peer-Review-Inter­view (Text und Skype-Inter­view-Abschrift) mit Claude Desma­rais (CA)
www​.csj​.ualberta​.ca/im…

2012 (13. – 14.10) Das Live-Konzert CrissCross/​Anamnesis #10“ des Kompo­nisten und expe­ri­men­tellen Live-Musi­kers Jules Desgoutte, mit Ausschnitten bear­bei­teter Aufnahmen aus der Gedicht­reihe weißer neger von Tanya Ury und Ausschnitten aus Krýstóf Szabós DER VERREIFTE GARTEN BAUCH LIEBSTER ATEM, Sa., 13. Oktober 20:00 Uhr & So., 14. Oktober 18:00 Uhr, Barnes Crossing in der Wachs­fa­brik, Köln (D)

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