Hair Shirt Army – Armee des härenen Gewandes

Website: www​.tany​aury​.com

19 Herren­mäntel Größe 56

Versi­che­rungs­preis 30.000 Euro

Klei­dungs-Objekte, aus kleinen Plas­tik­tüten zusam­men­ge­näht; jede Tüte (90mm x 115mm) ist mit einem Datums­eti­kett versehen und beinhaltet ausge­fal­lene Haare der Künst­lerin 1993 – 2013. Das ursprüng­liche Hair Shirt ist dem Leder­mantel-Design der Luft­waffe nach­emp­funden und hat Ähnlich­keiten mit: Hugo Boss, Langer Leder­mantel, Winter­mode 1998 – 99.


Who’s Boss – Eine Werkserie:


Seit November 1992 sammelt Ury ihren natür­lich ausge­fal­lenen Haare in kleinen, mit einem Datums­eti­kett verse­henen Plas­tik­tüten. Anfangs wurden diese Tüten zu großen Plas­tik­planen zusam­men­ge­näht, die Dusch­vor­hängen ähnelten – ein Vorhang jedes Jahr für die Instal­la­tion Golden Showers 1993 – 99. Who’s Boss: Hair Shirt (2004) ist aus Plas­tik­tüt­chen mit Haaren aus Urys Kollek­tion ange­fer­tigt. 

Als Klei­dungs­stück ist es unwahr­schein­lich und unprak­tisch – etwas zwischen Dusch­vor­hang und Matratzen-Füll­stoff (unter Hitler sammelten die Nazis das gescho­rene Haar weib­li­cher KZ-Insassen, um damit Matratzen auszu­stopfen). Zugleich ist auch der Prototyp eines Luft­waf­fen­man­tels, das dem Hugo Boss-Leder­mantel, Winter­mode 1998 – 99, ähnelt – oder es ist wört­lich-wort­spie­le­risch ein hair shirt“, ein härenes Gewand“ – in der engli­schen wie auch in der deut­schen Sprache ein Ausdruck der Wieder­gut­ma­chung und Buße.

Die Tatsache, dass sich der erste Erfolg eines renom­mierten Mode­hauses – Hugo Boss, der Unter­stüt­zung der faschis­ti­schen Kriegs­ma­schine verdankt, sowie der Ausbeu­tung von Zwangs­ar­bei­tern während der Kriegs­jahre, wirft tief­grei­fende Fragen über die Bezie­hungen zwischen Mode und Mili­tärmode, Mode und Politik.

Eine Hair Shirt Army (Armee-des-härenen-Gewands) wurde aus den Plas­tik­tüt­chen mit Haaren aus Urys Kollek­tion ange­fer­tigt und wurde als Gespenster-Instal­la­tion“ zum ersten Mal 2014 im Gewölbe des EL-DE-Hauses, des NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trums der Stadt Köln, präsen­tiert, wobei jeder Mantel an durch­sich­tigem Kunst­stoff­draht aufge­hängt ist.

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Die pyra­mi­den­för­mige Anord­nung der Mäntel, die in der Instal­la­tion Hair Shirt Army und im Bild shower proof zur Decke zu steigen scheinen, wurde als visua­li­sierte Reprä­sen­ta­tion dessen konzi­piert, was den Konzen­tra­ti­ons­lager-Funk­tio­nären begeg­nete, nachdem eine Verga­sung in den Gaskam­mern statt­ge­funden hat:

Die Konzen­tra­ti­ons­lager waren außer­or­dent­lich effi­zi­ente Todes­fa­briken. Ein Zeuge beschrieb einen typi­schen Tag der Vernich­tung in den Gaskam­mern von Auschwitz:

Außer­halb (…) behan­delten die Männer einen Konvoi von Juden, in etwa 3.000 Männer, Frauen und Kinder, die aus ihrem Zug in die über 180 Meter lange Halle geführt wurden, welche promi­nent in verschie­denen Spra­chen mit Bäder und Desin­fek­ti­ons­raum’ beschriftet war. Hier wurde ihnen befohlen, sich auszu­ziehen, was von der SS und den Männern des Sonder­kom­mandos beauf­sich­tigt wurde. Sie wurden dann in eine zweite Halle geführt, wo SS und Sonder­kom­mando sie verließen. Mitt­ler­weile hatten Last­wagen mit dem Rote-Kreuz-Abzei­chen Vorräte von Zyklon B‑Kristallen dorthin trans­por­tiert. Die 3.000 wurden dann einge­schlossen und vergast.

Zwanzig Minuten später wurden die paten­tierten Venti­la­toren ange­schaltet, um die verblie­benen Schwaden zu vertreiben. Männer der Sonder­kom­mandos, die Gasmasken und Gummi­stiefel trugen, betraten dann die Gaskam­mern. Sie fanden nackte Körper vor, die zu einer Pyra­mide aufge­türmt waren, was das letzte kollek­tive Ringen der Ster­benden bezeugte, die sich nach sauberer Luft in der Nähe der Decke gestreckt hatten; die Schwächsten lagen zerdrückt unten, während die Stärksten an der Spitze den Rest über­ragten. Die ringende Masse, durch den Tod allein beru­higt, lag jetzt reglos, wie ein furcht­sames Monu­ment ihres Leidens. Das Gas war langsam vom Boden aufge­stiegen, was die Häft­linge gezwungen hatte, über die Körper der anderen aufzu­steigen, in einem rück­sichts­losen Versuch, die letzten Lungen­fül­lungen an sauberer Luft zu ergat­tern. Die Leichen waren verschmutzt und die maskierten Männer spritzten sie mit Wasser­schläu­chen ab, bevor die Arbeit des Tren­nens und Trans­por­tie­rens der mitein­ander verschlun­genen Leichen einsetzen konnte. Sie wurden zu den Aufzügen geschleppt, in die Krema­to­rien herun­ter­ge­lassen, ihre Gold­zähne wurden mit Zangen entfernt und in mit Säure gefüllte Eimer geworfen, und die Haare der Frauen wurden von ihren Köpfen geschoren. Die entweihten Toten wurden dann in Stapeln von je drei auf Blech-Karren geladen und auto­ma­tisch in einen der fünf­zehn Öfen, mit denen jedes Krema­to­rium ausge­stattet war einge­führt. Ein einziges Krema­to­rium verbrannte alle 20 Minuten 45 Leichen; die Kapa­zität der Zerstö­rung in Ausch­witz betrug nicht weniger als 200 Leichen pro Stunde. Die Asche wurde fort­ge­bracht und in die eiligen Wogen des Vistula-Flusses geschüttet, der eine Meile entfernt lag. Die Wert­ge­gen­stände – Klei­dung, Juwelen, Gold und Haar – wurden nach Deutsch­land geschickt…1

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50 Jahre nach den Gräu­el­taten der Faschis­ten­re­gimes in Deutsch­land und Europa begann ich mit der Samm­lung meiner Haare. Ich lebe seit den frühen 1990er Jahren in Köln und beob­achte den lang­samen Prozess des wieder­ver­ei­nigten Deutsch­lands, mit dieser Vergan­gen­heit ins Reine zu kommen: die Erfolge der Aufklä­rung – aber auch das Versagen der Verschleie­rung in einer Gesell­schaft, die viele der früheren Faden einfach wieder aufge­nommen hat, teil­weise mit denselben Draht­zie­hern in Groß­in­dus­trie, Dienst­leis­tung, Trans­port­wesen etc. Die Armee-des-härenen-Gewandes ist ein zwei­schnei­diges Symbol, in dem eine bußfer­tige Armee auf den Leichen der Ausge­beu­teten aufge­baut wurde.

Diese Arbeit sollte auch auf die zeit­ge­nös­si­schen Akti­vi­täten des Hugo Boss AG in Bangla­desch aufmerksam machen, und so eine Parallel zwischen der Ausbeu­tung von Zwangs­ar­bei­tern vor und während des Zweiten Welt­kriegs zu gegent­wär­tigen Produk­ti­ons­be­din­gungen unter dem glei­chen Konzern ziehen.

Tanya Ury

1 Leo Kuper, Geno­cide: its Poli­tical Use in the Twen­tieth Century“ („Genozid: sein poli­ti­scher Nutzen im Zwan­zigsten Jahr­hun­dert“), Seite 133 – 34 (1981), zitiert wird Milos Nyiszli, Ausch­witz“ 1960: Kapitel VII. Ein ähnlich erschüt­ternder Bericht von Hoess, dem Direktor des Lagers Ausch­witz, findet sich in den Doku­menten von IMT“ docs supra notes 231, Edition XI, S. 416 – 417 – zitiert nach War Crimes Against Women: Prose­cu­tion in Inter­na­tional War Crimes Tribu­nals („Kriegs­ver­bre­chen gegen Frauen: Straf­ver­fol­gungen in Inter­na­tio­nalen Gerichts­höfen zur Unter­su­chung von Kriegs­ver­bre­chen“) von Kelly Dawn Askin, S. 149 – 49
books​.google​.de/​books (Über­set­zung Tanya Ury & Amin Farzanefar)


Präsen­ta­tion


Einzel­aus­stel­lungen

2014 (13.2. – 21.4) Tanya Urys Hair Shirt Army (Armee-des-härenen-Gewands), eine Instal­la­tion von dem Kulturamt der Stadt Köln gespon­sert, wird als Gespenster-Instal­la­tion“ zum ersten Mal im Gewölbe des EL-DE-Hauses, dem NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum der Stadt Köln, präsen­tiert. Eröff­nung: 13. Februar 2014, 19 Uhr, mit einer Einfüh­rung von Professor Dr. Ernst van Alphen, Univer­sität Leiden (NL). Das Neben­pro­gramm schließt ein Konzert archive burn out am 10. April mit Suspended Beliefs“ ein: Gedichte zu impro­vi­sierter Musik: Tanya Ury (Stimme), Gernot Bogumil (Trom­pete), Kasander Nilist (Kontra­bass), Hans Salz (Percus­sion)


Grup­pen­aus­stel­lungen

2015 (22.31.11) 6 von 19 Mänteln aus Tanya Urys Hair Shirt Army (Armee-des-härenen-Gewands) werden in Daniel Spoerris Grup­pen­aus­stel­lung Lieben und Haben – Lieb­haben, Sammeln und Sammler“ präsen­tiert. Die Ausstel­lung anläss­lich Spoerris 85. Geburtstag findet im Ausstel­lungs­haus Spoerri (Haupt­platz 23, 3493 Haders­dorf am Kamp (A)) statt. Die Eröff­nung ist am Samstag, 21. März 2015, um 16 Uhr www​.spoerri​.at/​a​k​tuell…


Publi­ka­tionen & Presse

2006 (5.2006) Abbil­dung von Hair Shirt im Jahres­aus­stel­lung Katalog, Kunst­verein Rosen­heim (D)

2007 (7) Die Publi­ka­tion des Who’s Boss-Arti­kels, in Translate/​Narrate Edition, Band 20, n.paradoxa, Inter­na­tional Femi­nist Art Journal, London (GB) web​.ukon​line​.co​.uk/n.p…

2008 (11) Über Hair Shirt wird in einem Artikel über Tanya Ury von Hartmut Bomhoff in der monat­lich erschei­nenden Jüdi­schen Zeitung” Berlin disku­tiert (D)

2014 (Februar/​April) Flyer und Plakat für Who’s Boss: Hair Shirt Army im Gewölbe des NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum, Köln (D)

2014 (13.2) „“Persön­li­ches Gedenken”, Artikel über Who’s Boss: Hair Shirt Army im Gewölbe des NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum, Köln, von Susanne Kreitz im Kölner Stadt-Anzeiger (D)

2014 (13.2) Armee der härenen Gewänder im Gewölbe”, Artikel von Susanne Schramm, in: Köln kompakt – Rhei­ni­sche Post – Neuß-Greven­broi­cher Zeitung (D)

2014 (13.2) Kein Rache­feldzug gegen Firma Boss“, Artikel über Who’s Boss: Hair Shirt Army im NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum, Köln, in: Kölni­sche Rund­schau (D)

2014 (13.2) Hugo Boss und die NS-Vergan­gen­heit”, Artikel von ehu – Das Online Nach­rich­ten­ma­gazin für Köln (D)

2014 (26.2. – 26.3) Tanya Ury: Who’s Boss – Hair Shirt Army” Artikel von Barbara Hess, in: Kölner Stadt­revue (D)

2014 (3.5) Inter­view (22:18 Minuten, am 18. April) mit Tanya Ury von Brigitte Lang und Rebecca Mann, über die Instal­la­tion Who’s Boss: Hair Shirt Army im NS-Dok-Zentrum Köln, mit Ausschnitte von Urys Konzert-Perfor­mance archive burn out mit Suspended Beliefs: Tanya Ury (Text/​Stimme), Gernot Bogumil (Trom­pete), Kasander Nilist (Kontra­bass), Hans Salz (Percus­sion), für Alle­weltonair (D), online als Podcast – can’t dance without my shadow” www​.alle​weltonair​.de/t…

2014 (5) Inter­view mit Tanya Ury von Verena Krippner, online über diesen Link: fishing​fo​r​emo​tions​.de/ (D)

2015 (23.1) Arbeiten am Archiv”, 50-minü­tiger Radio­bei­trag in der Reihe Das Feature“ über Tanya Ury von Dr. Astrid Nett­ling (Regie Burk­hard Rein­artz) am Freitag 23. Januar von 20:10 bis 21 Uhr, Deutsch­land­funk (D) www​.deutsch​land​funk​.de…

2015 (22.31.11) Tanya Urys Hair Shirt Army (Armee-des-härenen-Gewands) ist auf einer Doppel­seite in dem Katalog zu Daniel Spoerris Grup­pen­aus­stel­lung Lieben und Haben – Lieb­haben, Sammeln und Sammler“ zu sehen. Die Ausstel­lung anläss­lich Spoerris 85. Geburtstag findet im Ausstel­lungs­haus Spoerri (Haupt­platz 23, 3493 Haders­dorf am Kamp (A)) statt.

www​.spoerri​.at/​a​k​tuell…

Down­load Kata­log­heft: www​.spoerri​.at/​d​o​wnloa…


Künstler Schriften und Publikationen

2005 Who’s Boss project präsen­tiert in Stets gern für Sie beschäf­tigt…“ Katalog, ifa Galerie, Berlin (D)

2005 (1.4) Ury präsen­tiert Who’s Boss Projekt in Anti-Flick-Coll­ec­tion Ausgabe, Texte zur Kunst in der TAZ Berlin (D)

2006 (1418.6) Who’s Boss CD als Archiv Mate­rial, Performing Rights Library, eine Vier-Tage-Konfe­renz mit Begleit­pro­gramm bestehend aus Live Events Perfor­mance Studies inter­na­tional (PSi) #12: Performing Rights, Queen Mary, Univer­sity of London (GB)

2007 (7) Die Publi­ka­tion der Who’s Boss-Artikel, in Translate/​Narrate Edition, Band 20, n.paradoxa, Inter­na­tional Femi­nist Art Journal, London (GB) web​.ukon​line​.co​.uk/n.p…

2015 (30.4.) Die Kunst des Jüdi­schen Haare“, ein Artikel von Marjorie Ingall im Tablet Maga­zine (USA) über Salon Style, eine Grup­pen­aus­stel­lung in Harlem, New York City, der einen Absatz über Tanya Urys Hair Shirt beinhaltet www​.tabletmag​.com/jewi…

2016 (6) 2 Doku­men­ta­ti­ons­photos von Tanya Ury über ihre Arbeit Who’s Boss – Hair Shirt Army 2014 (ausge­stellt im EL-DE-Haus, NS-Doku­men­ta­ti­ons­zen­trum der Stadt Köln) präsen­tiert zusammen mit einem Beitrag über ihre jüdisch-deut­sche Fami­li­en­ge­schichte in: Der jüdi­sche Friedhof Köln-Bock­le­münd“ von Dr. Barbara Becker-Jákli, Emons Verlag (ISBN 9783954518890) (D)

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