Ein Performance Video (D)
52 Minuten, Analog Beta SP, PAL 4:3
2005 Trailer 3.30 Minuten
Versicherungswert DVD: 200 €
Close-up Video-Bilder zeigen Urys rechte Hand, wie sie das Wort „Boss“ auf ihre linke Handinnenfläche näht; die dünne Nähnadel, mit feinem, schwarzen Garn, lässt kein Blut fließen.
Röslein Sprach…, der Video Titel, bezieht sich auf eine Zeile im zweiten Vers von „Heidenröslein“, einem Goethe-Gedicht von 1799, das 1815 von Schubert in Musik gesetzt wurde, und das man im Video zu hören bekommt. Dieses Lied erzählt von einer roten Rose, deren einzige Verteidigung gegen die Attacken eines wilden Jungen im ineffektiven Stechen ihrer Dornen besteht.
Die Arbeit Your Rules 2004 kombiniert eine photographische Abbildung der Hand der Künstlerin, auf der das Wort ‚Boss‘ aufgestickt ist, mit einem Plakat für Hugo Boss Männer Dufte: dieses zeigt einen jungen Mann, auf dessen erhobener Hand man das handgeschriebene Logo ‚your rules‘ lesen kann.
In die Video-Textur eingearbeitet finden sich verschlüsselte Andeutungen auf die faschistischen Aktivitäten des Modehauses Hugo Boss AG während des Dritten Reiches: aus allen nationalsozialistisch besetzen Gebieten Europas wurden Näherinnen zu einer speziellen Élite-Belegschaft zusammengestellt, um als unterbezahlte Zwangsarbeiter Uniformen in der Boss Metzingen Werkstatt, Deutschland, herzustellen.
Die Öffentlichkeit erfuhr von diesem Skandal erst 1997, als der Name Hugo Ferdinand Boss auf Schweizer Bankkonten aus der Nazi-Periode auftauchte. Hugo Boss hat seitdem nur ein Minimum an nötiger Entschädigung in einen von der deutschen Regierung errichteten Fond gezahlt. Es ist unwahrscheinlich, dass die wenigen noch lebenden Opfer je irgendwelche Kompensation bekommen werden, bedenkt man den späten Entschluss, etwas zu unternehmen und die Langsamkeit der Bürokratie.
Das Boss-Credo: „Lebe nach Deinen eigenen Regeln“, wird in der aktuellen deutsche Fernseh-Werbekampagne für Hugo Boss Eau de Toilette, 2004 reflektiert: das Bild eines tätowierten Jugendlichen ist mit dem Voice Over „your fragrance, your rules“ unterlegt. Auf seiner in Richtung Kamera erhobenen Handfläche lässt sich das – handschriftliche – Statement „your rules“ lesen. Tanya Ury parodiert dies mit ihrer handgenähten Aussage „Boss“.
Die Videobilder beziehen sich auch auf die photographischen Arbeiten Daniel Buettis, wo man ein Sortiment Mode-Logos sieht, die augenscheinlich in die Haut des Modemodels eingenäht sind. Buettis Arbeiten bedeuten aber keinerlei Verletzungen des Models: die Logo-Schriftzüge wurden durch die Photographien gestanzt, diese dann erneut photographiert.
Die Verherrlichung oder Verharmlosung der Gewalt gegen Frauen in der Literatur beginnt früh, zum Beispiel mit dem Heidenröslein. Man sollt meinen, dass sich die symbolische Darstellung einer brutalen Vergewaltigung, vertont oder unvertont, nicht zum Schulunterricht eigne und schon gar nicht auf eine Stufe mit wirklichen Liebesliedern gesetzt werden solle. Denn Goethe hin, Schubert her, die letzte Strophe ist eine nur leicht verbrämte Terrorszene: „Doch der wilde Knabe brach’s Röslein auf der Heiden /Röslein wehrte sich und stach /Half ihm doch kein Weh und Ach /Musste es eben leiden.“
Die Verharmlosung entsteht dadurch, dass der Vergewaltiger, also ein ausgewachsener, zumindest geschlechtsreifer Mann, als „wilder Knabe“ einherkommt, dass die Tat symbolisch an einer Blume ausgeführt wird, obwohl deutlich Kraftmeier und schwächeres Mädchen gemeint sind, und dass im hingeträllerten Refrain „Röslein, Röslein, Röslein rot /Röslein auf der Heiden“ der Terror verplätschert. Das Lied ist verlogen, weil es ein Verbrechen als unvermeidlich und obendrein wie eine Liebesszene darstellt. Helke Sander hat in ihrem umstrittenen Dokumentarfilm BeFreier und Befreite einen Männerchor eingesetzt, der das Heidenröslein kommentarlos und unmissverständlich im Kontext der Massenvergewaltigung des Zweiten Weltkrieges singt. Damit ein Mädchen oder eine Frau ein solches Lied hübsch findet, muss sie mehr von ihrem menschlichen Selbstbewusstsein verdrängen, als sich lohnt, von ihren erotischen Bedürfnissen ganz zu schwiegen.1
1 Quelle: Ruth Klüger, Frauen lesen anders, in: Die Zeit, Nr. 48, 25.11.1994 www.stark-verlag.de/up…
Information
Konzept und Performance: Tanya Ury
Kamera: Katja Butt
AVID Edit: Rainer Nelissen
Musik: „Heidenröslein“, Schubert 1815, Verse von Goethe 1779, Altistin: Janet Baker, Klavier: Geoffrey Parsons, aufgenommen 1981.
Who’s Boss – Eine Werkserie:
- Art Prize
- Boss Rune
- Hair Shirt
- Hair Shirt Army – Armee des härenen Gewandes
- Röslein Sprach…
- Selection
- shower proof
- Soul Brothers & Sisters
- sweatshop
- Your Rules
Dies Video-Extrakt sind die letzten dreieinhalb Minuten der DVD.
Präsentation
2005 „Stets gern für Sie beschäftigt…“, ifa Galerie, Berlin (D)
2005 (26.3. – 23.4) Eröffnung 24. März ab 19 Uhr, Dialesung 20. April, 150 m³ Largus, Ausstellungs- und Projektraum, Mozartstr.9, Köln (D)
2005 „Stets gern für Sie beschäftigt…“, Prora Dokumentationszentrum, Rügen (D)
2005 „Stets gern für Sie beschäftigt…“, Kunstverein Rosenheim (D), Eröffnung 9. November 2005 um 19 Uhr, Ausstellungsdauer 9. November bis zum 6. Januar 2006
2005 (7.12) Trailer: Röslein Sprach…, Konferenz: Jüdische Frauen in Geschichte und Gegenwart, Konrad-Adenauer-Stiftung, Wesseling b. Bonn (D)
2006 (27.2) Peer Critique, Trailer, Ben Uri Gallery, The London Jewish Museum (GB)
2006 (5.4.) Seminar für professionelle Praxis mit Trailer, Kunstabteilung, Sheffield Hallam University (GB)
2006 (6.4) Trailer präsentiert im Seminar für Cathy Gelbin’s PhD. Konferenz Kurs: Gender and Visual Arts, Holocaust Studies (Geschlecht und die Visuellen Künste), Royal Holloway, London (D)
2006 (26.7. – 9.8.) Einzelausstellung, Seminar Präsentation: Who’s Boss, 16 Uhr 26.-7 in der Ausstellung, Tüzraktér Independent Cultural Centre, Budapest (HU)
2006 (28.8. – 3.9) Who’s Boss als Seminar Präsentation, c.sides Festival, International Convention Center, Jerusalem (IL)
2006 (3.11. – 24.11.) Einzellausstellung 9 – 12 Uhr Workshop mit SchülerInnen der Anne-Frank-Realschule. Eröffnung 20 Uhr 3.11., Bochumer Kulturrat, (D)
2007 (23.3.) Auf der online Feminist Art Base (Datenbank für feministische Kunst) www.brooklynmuseum.org… Video-Trailer, The Elizabeth A. Sackler Center for Feminist Art (Zentrum für feministische Kunst), The Brooklyn Museum, New York (USA)
2007 (4. – 7.4) Who’s Boss Power-Point-Präsentation, 8:00 – 9:30 Uhr, 7. April, Salon K zum 37. Jahrestreffen der „Popular Culture Association“ (Gemeinschaft für Populär-Kultur), mit dem Titel „Fashion, Appearance and Consumer Identity“ (Mode, Aussehen und Identität), Boston Marriot, Boston (USA) www.popularculture.org…
2008 (26.4. – 15.5) Röslein Sprach… (DVD), Gruppenausstellung, Open Space an der World-Ex-Position 08, Wien www.openspace-zkp.org/… (AT)
2008 (16. – 18.5) Who’s Boss Power-Point-Präsentation auf Deutsch, Limmud-Festival Werbellinsee (Jugenderholungs- und Begegnungsstätte) www.limmud.de/2008_en/… (D)
Publikationen & Presse
2005 (1.2.) Artikel: Grauen – nicht auf den ersten Blick – ifa-Galerie thematisiert Zusammenhänge zwischen Firmen und Naziverbrechen, von Robert Meyer, Neues Deutschland, Berlin (D) mehr
2005 (16.2.) Artikel: Es fährt ein Bus nach Sachsenhausen – Die dunkle Seite von Hugo Boss, von Brigitte Werneburg, TAZ, Berlin (D) mehr
2005 (25.2.) Artikel mit Photostill Röslein Sprach…, „Hugo’s dunklere Seite“ von Martin Conrads, Netzeitung.de Voice of Germany (D) mehr
2005 (7.3.) Artikel (nicht veröffentlicht) Röslein sprach…, Geld stinkt eben doch – Voll waren die Auftragsbücher zu Nazizeiten: Eine Ausstellung in der ifa-Galerie Berlin erinnert an Profiteure des Massenmords, von Matthias Reichelt, Berlin (D) mehr
2008 (11) Über Röslein Sprach… wird in einem Artikel über Tanya Ury von Hartmut Bomhoff in der monatlich erscheinenden “Jüdischen Zeitung” Berlin diskutiert (D) Artikel als PDF www.j‑zeit.de
2019 (12) Peter Chametzky bespricht Tanya Urys Kunstarbeiten sowie die einiger anderer deutscher Künstler, mit Abbildungen von: lesser is me more or less, Who’s Boss: Röslein Sprach…, Who’s Boss: Art Prize Nr.4, und Who’s Boss: Hair Shirt Army (Foto-Dokumentation, auf der Ausstellungseröffnung im Kölner EL-DE-Haus 2014, Peter Chametzky) in “’Turks, Jews, and Other Germans in Contemporary Art’: An Introduction,” („Türken, Juden und andere Deutsche in der Zeitgenössischen Kunst: Eine Einführung“), The Massachusetts Review (60th Anniversary Issue – Jubiläumsausgabe zu 60. Jahrestag), Band. 60⁄4 (Winter 2019): S. 655 – 681 Rezension massreview.org/sites/d… (USA)
Künstler Schriften und Publikationen
2005 (1.4.) Who’s Boss Projekt präsentiert in Anti-Flick-Collection Ausgabe, Texte zur Kunst in der TAZ Berlin (D)
2005 Katalog „Stets gern für Sie beschäftigt…“, ifa Galerie Berlin (D)
2006 (14−18.6) Who’s Boss CD als Archiv Material, Performing Rights Library eine Vier-Tage-Konferenz mit Begleitprogramm bestehend aus Live Events Performance Studies international (PSi) #12: Performing Rights, Queen Mary, University of London (GB)
2007 (7) Die Publikation des Who’s Boss-Artikels, in Translate/Narrate Edition, Band 20, n.paradoxa, International Feminist Art Journal, London (GB) web.ukonline.co.uk