* Die Wendung noli me tangere ist im Evangelium nach Johannes der ins Lateinische übersetzte Ausspruch Jesu nach der Auferstehung an Maria Magdalena (Joh 20,17 EU) und heißt übersetzt „Rühre mich nicht an“ oder „Berühre mich nicht“. Die berühmte Szene wurde zum Thema einer langen, weitverbreiteten und kontinuierlichen ikonographischen Tradition in der christlichen Kunst, die von der Spätantike bis ins zwanzigste Jahrhundert reicht.
de.wikipedia.org/wiki/…
2009
Video-Performance, 4:18 Minuten
Ein Split-Screen Video der Performance (englische und deutsche Versionen) wurde 2010 produziert.
Eine DVD-Kompilation von Touch me Not (4.18) auf Englisch und dem englischen Artikel Self-portrait of a Self-hating Jew (kurze Version 30 Minuten) mit Bilder, wurde 2010 produziert.
Tanya Ury trägt eine schwarze Bluse: die Ärmel sind wie bei einer Zwangjacke auf ihrem Rücken zusammen gebunden, während sie lautlos, wie geknebelt, dasteht. Die Aktion ist begleitet von Texteinblendungen mit Voice-over, die über die Erfahrung erzählen, eine allgemein als „ungewöhnlich“ empfundene Haartracht zu besitzen.
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In ihrer (noch nicht veröffentlichten) Dissertation „Parallelen, Positionen, Nähen. Kreuzungen von Anderssein“2 erwähnt Rachel Ramsay eine Situation aus Doron Rabinovicis “Ohnehin”, in der Menschen sich unbewusst in rassistischen Äußerungen ergehen:
“Der Philosemitismus dieser Generation ist vergleichbar mit ihrer Xenophilie, die sich als Tendenz manifestiert, das Fremde zu domestizieren und es als Haustiere zu behandeln. Stefan, zum Beispiel, verabscheut die Neigung der Bekannten seiner Mutter, über ihre jüngsten Einkäufe auf den Naschmarkt zu berichten, die sie ‘bei meinem Türken, ja, sie sagten, bei ihrem Türken’ (Ohnehin 175) erworben hatten. Diese Begriffe erinnern stark an die von Bärbl, Herbert Kerbers Tochter, durchaus liebevoll auf den Überlebenden Paul Guttmann gemünzte Zuschreibung ‚unser Hausjude’ – ein Ausdruck, der auf die idealisierte Habsburger Ära zurückgreift. Ähnlich wurde Stefans Freund Patrique, Sohn eines Diplomaten aus Kinshasa, als Kind einem ständigem Anstarren ausgeliefert: ‚es war gar vorgekommen, daß Älpler in der Straßenbahn das krause Haar und die Haut befühlt hatten, als wären sie auf ein kleines schönes Tier, auf eine niedliche Affenart getroffen.’“3
Am 3. Februar 2009 erfuhr man auf CNN in einer Sendung über die neue „First Lady“, Michelle Obama, biographische Details aus ihrer Studienzeit in Princetown University USA: Studenten hatten ihre Haare gestreichelt, um sich „Glück“ zu bringen. Ich zitiere aus dem satirischen „How to Rent a Negro” (Wie man einen Neger mietet) von Damali Ayo: „Diese althergebrachte Tradition fing im Neunzehnten Jahrhundert an, als es als glückbringend betrachtet wurde, wenn man die Haare einer schwarzen Person anfasste.“4 Das “Jewfro”5scheint auch ein einschüchterndes Verhalten bei nicht reflektierenden Menschen hervorzurufen. Aber diese Art der Schikane ist nicht nur auf Afrikaner oder das afro-amerikanische Erleben beschränkt. Als ich einmal 2006, in New York ankam, rief mir einer der Gepäckträger, ein junger Schwarzer respektvoll hinterher (während ich die Flughafen-Security-Zone durchquerte): „Ich liebe Deine Haare!“ – Eine ähnliche, aber doch andere Situation entwickelte sich, als ich im selben Jahr den Sicherheitscheck des Kölner Flughafens passierte: all die männlichen und weiblichen Amtspersonen fingen an, über meine äußere Erscheinung zu lachen. In der Absicht, seine schlechten Umgangsformen – oder sogar seinen Rassismus – zu kompensieren, begann einer der Beamten eine Unterhaltung: „Sie haben eine sehr interessante Frisur…“ kommentierte er. Meine Haare waren in Spirallocken frisiert – er hingegen trug seine kurzen schmiergefetteten Haare stachelig. „Das haben Sie auch – eine ziemlich ungewöhnliche Frisur…“ antwortete ich – ich hatte meine Deckung verloren, und konnte nicht passend reagieren.
In bestimmten Fällen, kann die Haartracht als jüdisches Zeichen gelten: Während der orthodoxe chassidisch-jüdische Mann seine Haare mit „Pejes“ an der Schläfe frisiert, bedeckt die orthodoxe Frau ihren Kopf mit Tuch oder Perücke. Die blonde Perücke die ich in Teilen der Video/Performance Kölnisch Wasser trug, vereinigt eine komplexe Symbolik in sich, inklusive der gefährlichen Reize einer blonden Sirene wie sie die Loreley-Figur verkörpert (welche Matrosen in den Tod lockt) – eine Rheinjungfrau, die auch in Heinrich Heines Gedicht von 1822 beschworen wurde.
Seit 1993 sammele ich täglich meine natürlich ausfallenden Haare in kleinen datierten Plastiktüten, die zusammen aneinander genäht werden. Die ersten Präsentationen dieser„Duschvorhänge“ (die auch an die Duschszene-Vorhänge in Hitchcocks „Psycho” erinnern sollen, ein Film mit multiplen Referenzen zum Holocaust6) wurden mit der Golden Showers Performance-Dokumentation kombiniert. Die Referenz dieser Arbeit zu den gesammelten Haaren der Konzentrationslager-Opfer war unverhohlen. 2004 fertigte ich als Teil der Who’s Boss Serie den ersten Mantel an: Hair Shirt.
Haar bezeichnet oft Ethnizität – Rasse, und ich kann nicht mehr zählen, wie oft Menschen auf meine Haare reagiert haben – positiv, oft negativ. Häufig versuchen Fremde, meine Haare anzufassen. Den nahezu dramatischen Wunsch nach einem haptischen Erlebnis konnte ich beobachten, als die „Duschvorhänge“ in der Stadtbibliothek Münster 1997 ausgestellt wurden: Obwohl ein Schild das Anfassen der ausgestellten Objekt untersagte, konnten die Zuschauer einfach nicht der Versuchung widerstehen, die Plastiktüten mit den Haaren drin zwischen ihre Finger zu bekommen.
Ausschnitt aus Self-portrait of a Self-hating Jew – Selbstportrait einer Selbsthassenden Jüdin, Tanya Ury 2009 (Übersetzung aus dem Englischen, Tanya Ury & Amin Farzanefar
Nachdem ich meine Performance Touch me Not – Berühre mich Nicht auf der Bet-Debora-Konferenz in Sofia Bulgarien, Juni 2009, präsentiert hatte, kam Toby Axelrod zu mir um zu erzählen, wie sie vor einigen Jahren, auf einer Straßenbahnfahrt in Berlin-Prenslauerberg Zeugin eines Vorfalls wurde, bei dem mehrere deutsche Jugendliche hinter einer jungen Frau mit langen, lockigen, schwarzen Haaren saßen. Einer von ihnen fasste ihre Haare von hinten an und erklärte: „Ich wollte nur spüren, wie sich Zigeunerhaare anfühlt,“ sowie „Ist es nicht schön, dass wir in einem Multi-Kulti Land leben!“, und er begann ein nationalistisches Lied über den Stolz Deutscher zu sein, anzustimmen.
Als sie ihre Haltestelle erreichte, eilte Toby zur Fahrerkabine und berichtete über die Umstände. Der Fahrer ging zur letzten Wagen, wo die Männer saßen. Toby fuhr mit ihrem Fahrrad zur nächsten Haltestelle, wo sie die Straßenbahn anhielt und fragte den Fahrer, ob er die Jungendlichen angesprochen hätte. Er versicherte, dass er den Wagon kontrolliert hätte, aber nicht weiteres unternehmen könnte, weil er nichts Ungewöhnliches beobachtet habe. Toby dachte, das wäre besser als nicht getan zu haben – wenigstens würden die Jungen so verstehen, dass man sie gemeldet hat.
1 Die Wendung noli me tangere ist im Evangelium nach Johannes der ins Lateinische übersetzte Ausspruch Jesu nach der Auferstehung an Maria Magdalena (Joh 20,17 EU) und heißt übersetzt „Rühre mich nicht an“ oder „Berühre mich nicht“. Die berühmte Szene wurde zum Thema einer langen, weitverbreiteten und kontinuierlichen ikonographischen Tradition in der christlichen Kunst, die von der Spätantike bis ins zwanzigste Jahrhundert reicht.
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2 “Parallels, Positionalities, Proximities. Intersections of Otherness”, 2009
3 (S. 158, Ohnehin, Doron Rabinovici Frankfurt/M.: Suhrkamp, „2005“ ISBN 3−518−45736−5). S. 40 – 41, Parallels, Positionalities, Proximities. Intersections of Otherness (noch nicht veröffentlichte Dissertation) Rachel Ramsay UK 2008
4 (Übersetzung Tanya Ury & Amin Farzanefar) How to Rent a Negro, (Wie man einen Neger Mietet) von Damali Ayo, Edition: illustriert, Veröffentlichung Chicago Review Press, 2005, ISBN 1556525737, 9781556525735 208 Seiten
books.google.com
5 Ein Jewfro bezieht sich auf einen lockigen Haarstil, von Menschen jüdischer Herkunft getragen. Der Begriff ist von dem Afro-Haarstil inspiriert, dem er vage ähnelt. (Übersetzung Tanya Ury & Amin Farzanefar)
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6 Siehe Taking on the Mantle, Artikel von Tanya Ury in: Auf Brüche – Kulturelle Produktionen von Migrantinnen, Schwarzen und jüdischen Frauen in Deutschland, 1999, Ulrike Helmer Verlag ISBN 3−89741−042−7 (D) und Cathy S. Gelbin, Metaphors of Genocide: The Staging of Jewish History and Identity in the Art of Tanya Ury – in Performance and Performativity in German Cultural Studies, Carolin Duttlinger, Lucia Ruprecht, Andres Webber (Herausgebe) 2003, Veröffentlichung Peter Lang
Berühre Mich Nicht, Video-Performance
Präsentation
2009 (25. – 26.3) Gastdozentur an der Fakultät für Kreative und Kritische (deutsche) Studien der Universität British Columbia, Okanagan (CAN)
web.ubc.ca/okanagan
www.bclocalnews.com/en…
Presse als PDF
2009 (25. – 28.6) Migration, Communication and Home, Jewish Tradition, Change & Gender in a Global Context, (Migration, Kommunikation und Heimat, Änderung und Gender im globalen Kontext) Bet Debora Konferenz, Sofia (BG)
2010 (6−10.6) DVD-Präsentation, 16.15 Uhr, 8. Juni, Jews/Colour/Race (Juden/Farbe/Rasse) – Eine multidisziplinärer Workshop gehalten an der Ben-Gurion-Universität, Beer-Sheva (IL)
cmsprod.bgu.ac.il
Information
Drehbuch, Voice Over: Tanya Ury
Performance: Tanya Ury & David Janecek
Kamera: David Janecek
DVD-Edit Mirco Sanftleben, pixel2motion
Bluse:
Konzept: Tanya Ury
Anfertigung: Nissen