False Premises — Das Lebkuchenhaus

Video 25 Min., Englisch
Super-8-Film auf Lo-Band U‑Matic Video umkopiert und geschnitten, Farbe, 1992 (GB)

DVD mit deutschen Unter­titeln (Das Lebkuchen­haus) 2007 (D), 27 Minuten
Trailer 6 Minuten

Preis DVD: 200 Euro

Das orig­i­nale Film-Mate­rial für False Premises entstammt einer von mir gefilmten Super-8-Doku­men­ta­tion über ein Eigen­heim/Hausbau-Projekt von meinem ehema­ligen Mann und mir, in Swal­low­fields Totnes, South Devon, England während 1983 – 86. Ich been­dete das Video im Rahmen der Colin Walker Fellow­ship in Fine Art (Stipendium), Sheffield Hallam Univer­sity 1991 – 92.

Der Titel des Videos False Premises ist eine Anspielung auf die Phrase false premise“, auf Englisch eine falsche Prämisse“, wobei das Wort premises“ ein Gebäude bedeutet; false promises“ suggeriert auch falsche Versprechungen“, in diesem Fall von einem Heim und Zuhause.

Während über die Bilder ein Hausbau doku­men­tiert wird, bestimmen sieben Geschichten, im Off von einer männlichen und einer weib­lichen Stimme gesprochen, die Struktur des Videos. Die Zwis­chen­titel verweisen sowohl auf Körperteile wie auf Zimmer eines Hauses.

DAS LEBKUCHENHAUS NUMMBER VIER DAS ERSTE
TRANSFORMATION HERZ WOHNZIMMER

In den Texten wird der Miss­brauch von Macht offen gelegt, der hinter den Türen in der Privat­sphäre der Familie stat­tfindet. Sie weisen aber darüber hinaus auf weiter gefasste Gewal­tausübung hin, wie z.B. Kolo­nial­isierung und Landbe­set­zung — Bere­iche, in denen Gewalt­miss­brauch gesellschaftlich sank­tion­iert ist. Die Geschichten behan­deln insbeson­dere die vielfältigen Formen von Entfrem­dung, denen jüdische Frauen durch die herrschende und die eigene Kultur ausge­setzt sind.

Das Drehbuch zu False Premises bietet soviele Beispiele von Wort­spielen einer jüdisch-kabbal­is­tis­chen Tradi­tion, dass eine deutsche Über­set­zung, 2007 fünfzehn Jahre nach der Fertig­stel­lung des Videos unter­nommen, kein einfaches Vorhaben ist:

Beispiel:

EVACUATION INTERNMENT
EVACUATION INTERMENT

Buried in the uncon­scious was the genetic
Memory of exile and death

In the base­ment that didn’t exist, she defecated;
But she was so consti­pated that it was no use.

Über­tra­gung:

EVAKUIERUNG INTERNIERUNG
ENTLEERUNG BEISETZUNG

Im Unter­be­wusst­sein begraben war die genetische
Erin­nerung von Exil und Tod1

In dem Untergeschoss das nicht existierte, entleerte sie sich;
aber sie war so verstopft, dass es nichts brachte.

Erläuterung:

Das Wort Evac­u­a­tion“ (auf Englisch doppeldeutig) bedeutet hier nicht nur Zwangsmi­gra­tion“, sondern auch die Auss­chei­dungstätigkeit des Darmes.

In False Premises entsprechen die sieben Stufen der Entwick­lung (gemäß dem Bauen des Hauses) den sieben Chakren des Körpers aus der hinduis­tis­chen und buddhis­tis­chen Reli­gion­sphiloso­phie; der kabbal­is­tische Baum des Lebens aus der jüdis­chen Tradi­tion hat jedoch elf Stufen, die Jakob­sleiter“ wiederum hat 292. All diese Philoso­phien haben mich in verschiedenen Stufen meines Lebens beschäftigt.

Die Zitate aus dem Video­drehbuch entstammen haupt­säch­lich der Bibel, aber da ist auch eine Dibbuk-Geschichte aus dem Italien des 16. Jahrhun­derts, die von einer jungen Jüdin erzählt, deren Körper von einem bösen Geist in besitz genommen wurde3. Die von mir selbst verfassten Texte sind keine mystis­chen Ereignisse, sondern symbol­ische Umset­zungen von Erleb­nissen, inner­halb einer jüdis­chen Kern­fam­ilie, insbeson­dere tabuisierter Begeben­heiten. Es ist allge­mein bekannt, dass einer von fünf Miss­brauchs­fällen im famil­iären Haushalt stattfindet.

In einer weit­eren Beschrei­bung des Videos, wo im hinteren Teil einer Höhle Tomaten entdeckt werden, die in menschlichen Exkre­menten wachsen, sind Miss­bräuche auf einer glob­alen Skala, mit spez­i­fis­chen Bezügen zu Israel, angedeutet.4

In regelmäßigen Abständen des Videos sieht man die schwarz-weißen Bilder meiner Füße, die in Sandalen gehen, wobei diese Sequenz das visuelle Narrativ bricht. Diese Meta­pher spiegelt die Intro­spek­tion wider, die vom mosais­chen Bilderverbot hervorgerufen wird, zitiert, aber auch den wandernden Juden’; manchmal sieht man in Zeitlupe, von oben gefilmt, vorwärts schre­i­t­ende Füße, die sich auch immer weiter von der Verheißung eines Zuhause entfernen.

Obschon Anfang und Ende des Videos Beginn und Abschluss des Haus­bauens korre­spondieren, ist der Rest des visuellen Mate­rials und der Voice-Over-Erzäh­lungen nicht in einer chro­nol­o­gis­chen Rein­folge geschnitten, was der Vorstel­lung einer fortschre­i­t­enden Entwick­lung entgegenläuft.

Inner­halb der chine­sis­chen Philoso­phie schießt oft die oberste Linie des I Ging’s über das Ziel hinaus. Entsprechend dieser Idee berichtet die letzte Geschichte der False Premises von einem deutschen Maler des frühen zwanzig­sten Jahrhun­derts5. (er ist hier durch einen Golem6 repräsen­tiert) obwohl seine Absichten hochfliegend sind, isoliert er sich von der Gesellschaft, und zieht es vor, durch seine Kunst zu kommunizieren.“

1 Aus Ury’s Entwick­lungsno­tizen für False Premises, 26.4.91: In einer TV-Serie die aktuell ausges­trahlt wird, äußert Wistrich, dass die Vorstel­lung von genetis­cher Erin­nerung und Ander­s­sein von den Nazis als Begrün­dung für die Endlö­sung diente, da man so von dem Juden nicht erwarten konnte, dass er sich assim­i­liert oder inte­griert.” (Über­set­zung TU & AF)

2 Siehe Seite 324, Adam and the Kabbal­istic Tree, Z’ev ben Shimon Halevi, Gateway Books London 1974)

3 In der Kabbala und in der europäisch-jüdis­chen Folk­lore ist der Dybbuk ein bösar­tiger besiter­greifender Geist, von dem man vermutet, dass er die ausgerenkte Seele eines Verstor­benen sei. Es wird erzählt, dass die Dybbuks aus der Gehenna“ — ein hebräis­cher Begriff, frei über­setzt als die Hölle“ — ausge­brochen sind. Oder sie sind aus der Gehenna ausgetrieben worden wegen Übertre­tungen, die zu ernst für die Seele sind, so wie Suizid, um es ihr zu erlauben zu bleiben. Das Wort Dybbuk“ kommt aus dem Hebräis­chen דיבוק, was Anhang“ bedeutet; der Dybbuk heftet sich an den Körper einer lebenden Person und bewohnt ihn. Seinem Glauben nach wird eine Seele, die in ihrem Leben ihre Aufgabe nicht erfüllen konnte, eine weitere Gele­gen­heit gegeben — in der Form eines Dybbuks. Dieser wird den Körper verlassen, sobald er sein Ziel erre­icht hat, manchmal mit etwas Hilfe. Im Grunde ist ein Dybbuk ein jüdis­ches Geist, der seinen Schaber­nack mit anderen treibt.
en​.wikipedia​.org/​wiki/… (Deutsche Über­set­zung TU & AF)

4 Aus meinen Entwick­lungs-Notizen für False Premises, 26.4.91:”’Nächstes Jahr in Jerusalem’. Israel, der Traum, den jeder Jude über die Jahrhun­derte nährt, ist jetzt zu einer Absur­dität geworden – nicht nur ist dort nicht genug Platz, um den Flut von russis­chen Juden zu beherbergen (die weltweit größte Popu­la­tion von Juden stammt aus Russ­land), wie ich Jakov Lind (der Autor) sagen hörte: wenn all die Juden in einen Ort gesam­melt wären, würde daraus ein Ziel der Vernich­tung werden, was Hitlers Endlö­sung real­isieren würde; und letz­tendlich ist aus dem Traum ein Alptraum geworden, wegen der Palästi­nen­sische Frage, die durch die Domi­nanz von Rechter Politik in Israel nicht beseitigt wird; es wird als Dorn in der Traum bleiben.“

5 Suggeriert ist Lesser Ury, obwohl sein Name nicht direkt im Drehbuch erwähnt wird.

6 Die früh­sten Geschichten des Golems kann man im Frühju­daismus datieren. Über Adam wird im Talmud (Trac­tate Sanhedrin 38b) beschrieben, dass er erst als Golem kreiert wurde, als sein Staub in einem form­losen Brocken geknetet“ wurde. Wie Adam (dessen Name buch­stäblich Erde,“ bedeutet) sind alle Golems aus Schlamm geschaffen worden. Sie waren eine Kreation jener, die sehr heilig und nah zu Gott waren. Ein sehr heiliger Mensch war bestrebt sich Gott anzunähern, und in diesem Streben etwas von Gottes Weisheit und Macht gewinnt. Eine diese Kräfte war die Erschaffen von Leben. Dennoch so heilig ein Mensch geworden war, ein von dieser Person geschaf­fenes Wesen, wäre nur ein Schatten jener von Gott geschaf­fenen. Einst entwick­elte sich die Idee, dass die Haupt­be­hin­derung des Golems seine Unfähigkeit zu sprechen war. In Sanhedrin 65b, findet sich die Beschrei­bung wie Raba mit der Sefer Yetzirah einen Golem schuf. Er schickte diesen Golem zu Rav Zeira; Rav Zeira sprach zu dem Golem, aber jener antwortete nicht. Da Sprach Rav Zeira, Ich sehe, dass Du von einem der unseren geschaffen wurdest; kehr wieder zu Deinen Staub.“ Es wird erzählt, dass wenn ein Golem sprechen könnte, würde ihm das eine Seele schenken, und weil ein Golem nicht perfekt gemacht werden kann, wäre diese Fähigkeit sehr gefährlich.
en​.wikipedia​.org/​wiki/…


Infor­ma­tion

Kamera, Drehbuch, Schnitt: Tanya Ury
Voice Over: Natasha Morgan and Jim Harold
DVD-Edit mit deutschen Unter­titeln Olé Heller
Deutsche Über­set­zung Tanya Ury und Amin Farzanefar
Dank an Michael Lawton für die deutschen Bibelzitate

Verleih:
Grey Suit (Spring 1994)
21 Augusta Street
Adamsdown
Cardiff CF2 1EN
Wales, UK
ftvdb​.bfi​.org​.uk/​sift/…


Präsen­ta­tion

1992 Femi­nale, Frauen­Film Festival, Köln (D) 

1992 Sheffield Media Show und Colin Walker Fellow­ship in Fine Art Stipen­diat Vorträge, Kunstabteilung, Sheffield Hallam Univer­sity (GB) 

1992 Einze­lausstel­lung, Kunstabteilung Cardiff Insti­tute of Educa­tion. Wales (GB) 

1992 Einze­lausstel­lung, Royal College of Art, Abteilung Holo­gra­phie, London (GB) 

1992 – 93 British Telecom New Contem­po­raries (und dargestellt im Katalog) Grup­pe­nausstel­lung, British Telecom New Contem­po­raries auf Tour, kuratiert von Guy Brett, Derek Jarman & Marina Warner: Orion Newlyn, Corner­house Manchester, Angel Row Nottingham, Orpheus Belfast, ICA London (GB) 

1993 Einze­lausstel­lung, Royal College of Art, Depart­ment of Holog­raphy (GB) 

1993 Grup­pe­nausstel­lung, Women in Art Prac­tice, Exeter (GB) 

1994 (Spring) Grey Suit Video Maga­zine #5 (GB) 

1995 Einze­lausstel­lung, Simon Fraser Univer­sity, Vancouver (CAN) 

1996 Super 8 Site, Elevator Web, Dundee, Schot­t­land (GB) 

1997 Einze­lausstel­lung, Cuba Cultur, Münster (D) 

2007 (16.6) c.sides Studioparty, 15 – 22 Uhr, Körn­er­strasse 20, Straßen­fest, Köln (D) 

2007 (1. – 2.-9) DVD mit deutsche Unter­titeln, Grup­pe­nausstel­lung, Artemiade, Kunst in der Sied­lung am Kalscheurer Weg, Köln (D) artemiade​.de/​?​p​a​ge_id=… 

2009 (9.1) DVD mit deutsche Unter­titeln, 20 Uhr, Einze­lausstel­lung in der Reihe Jüdische Impres­sionen“ im Arkadas Theater, Bühne der Kulturen der Welt, Köln (D)
www.buehnederkulturen.…
www​.ksta​.de/​h​t​m​l​/​artik…


Publika­tionen & Presse

2007 Präsen­ta­tion des Videos False Premises an der Videotech, Chapter Arts Centre, Cardiff 1994, erwähnt in der Perfor­mance in Wales Data­base (GB) performancewales.aber.…

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