www.glitterbug.de
Installations-Loop 21 Minuten 10 Sekunden (Endlosschleife)
Video mit Titeln 23 Minuten 30 Sekunden
Betakam SP, Farbe, 2007 (D)
Videotrailer 7 Minuten
Trains, die DVD von Tanya Ury, zeigt Postkarten von Zügen aus dem alten und neuen Europa – 80 eingescannte Bilder, unterlegt mit einer digital-elektronischen Musikpartitur von Till Rohmann AKA Glitterbug.
Die DVD umfasst Photos von französischen, ungarischen, österreichischen und hauptsächlich von deutschen Zügen; das Modell, die Herkunft und auch der Ort, wo diese Transporter von Menschen und Fracht photographiert wurden, ist unter den Bildern aufgelistet. Zunächst sieht man Farbbilder der S‑Bahn und Kreisbahn, neuere Züge, gefolgt von älteren – Elektrik, Diesel, dann Dampflok –, welche durch fahren hübsche Landschaften fahren. Schließlich werden alte Schwarz-weiß Bilder von Dampfrössern vergangener Epochen gezeigt.
2003 produzierte die Deutsche Bahn eine DVD:
„Faszination Dampflok“: „Die Dampflok, eine Welt von Nostalgie und Romantik“.
Erst am Ende dieses Dokumentarfilms wird die Geschichte der ehemaligen Deutsche Reichsbahn unter dem Nationalsozialismus überhaupt erwähnt, in dem anhand des Museums der Deutschen Bahn in Nürnberg auf die Kooperation mit dem Naziregime eingegangen wird; die schreckliche Rolle, die die Bahn im Holocaust spielte, wird von Augen und Bewusstsein der Reisenden auf deutschen Bahnhöfen und Bahnsteigen bislang ferngehalten. Die genaue Aufgabe der Reichsbahn, die Millionen von Menschen unter inhumanen Konditionen in Viehwaggons quer durch Europa in einen sicheren Tod in Konzentrationslagern transportiert hat, benennt auch dieser Deutsche-Bahn-Film nicht.
In den angenehmen Postkartenidyllen Ury’s und Rohmann’s Trains werden einem Großstadtmilieu Landschaftsszenen unter Winterschnee oder milden Frühlingskonditionen gegenübergestellt. Eine weniger attraktive Perspektive deuten die Titel am Ende des Videos an, die eine dunklere historische Realität bezeichnen:
Deutsche Bahn zeigt Ausstellung zur Rolle der Reichsbahn im Holocaust auf Bahnhöfen
1. Dezember 2006
„Die lang anhaltende Kritik an der ablehnenden Haltung der Deutschen Bahn hat endlich Wirkung gezeigt. Am 1.12.2006 hat Bahnchef Mehdorn gemeinsam mit Bundesverkehrsminister Tiefensee erklärt, dass die Bahn eine Ausstellung zur Deportation auf ihren Bahnhöfen zeigen wird. Dabei sollen auch Elemente der Ausstellung ‚11.000 jüdische Kinder. Mit der Reichsbahn in den Tod’ von Beate Klasfeld integriert werden. Die Ausstellung soll am 27. Januar 2008, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes, in Berlin eröffnet werden.
Ich freue mich, dass auch das Engagement der Deutsch-Israelischen Parlamentariergruppe zu dieser Entscheidung beigetragen hat. In einem Gespräch mit Bahnchef Mehdorn am 29.11.2006, zu dem ich als Vorsitzender der Parlamentariergruppe eingeladen hatte, haben wir parteiübergreifend auch dafür geworben, die Ausstellung auf deutschen Bahnhöfen so zu zeigen, dass sie von einer breiten Öffentlichkeit wahrgenommen werden kann.“
www.jerzymontag.de/
Till Rohmann hat für dieses Gemeinschaftsprojekt mit Tanya Ury die Musik: „10 Seconds“ komponiert.
Tanya Ury
Till Rohmann, aka glitterbug, ist Künstler, Musiker, Kurator, Produzent und DJ und lebt und arbeitet im Zwielicht zwischen Clubkultur, Kunst und Politik. Er ist auch der Kurator und Direktor des c.sides Festivals Israel /Deutschland sowie eine Hälfte von ‚Macabug‘, beides zusammen mit der israelischen Fotografin und Videokünstlerin Ronni Shendar.
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1989, als ich in Deutschland für ein Semester am Institut für Theater‑, Film- und
Fernsehwissenschaften der Universität zu Köln studierte, stellte mir ein Freund Steve Reichs “Different Trains” vor, das dieser ein Jahr zuvor für das Kronos-Streichquartett komponiert hatte. Reich hatte Aufnahmen amerikanischer und europäischer Zuggeräusche aus den 30er und 40er Jahren. gesammelt. Er hatte auch die Stimmen von 3 Holocaust-Überlebenden aufgenommen. Reich beschrieb seiner neuartige Kompositionstechnik wie folgt: „Die Streicher imitieren dann genau die Sprachmelodie“1, und er kombinierte alles für die musikalische Collage.
Als ich in Köln ankam, entdeckte ich, dass die LUDWIG Presse- und Buchhandlung im Köln Hauptbahnhof Postkarten von europäischen Zügen verkaufte. “Different Trains” hatte mich so tief beeindruckt, dass ich unbedingt ein Videostück im Sinne von Reichs Opus schaffen wollte. Ich war dennoch beunruhigt, dass ich dem Thema nicht gerecht werden würde, indem ich bloß Bilder von Zügen präsentierte – wäre das nicht zu minimalistisch? Und so wurde das Projekt für eine Weile zu den Akten gelegt, während ich andere Arbeiten schuf.
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Im Frühjahr 2007, 14 Jahre nachdem ich endgültig nach Köln gezogen war, verkündete eine Künstler-Freundin von mir, deren Garten unter eine Bahnbrücke in Köln-Ehrenfeld endete, dass sie eine Mottoparty zum Thema Zug geben wollte.
1976 hatte ich persönlich einen Unfall auf einem englischem Zug überlebt – und die Tatsache, dass meine jüdische Familienmitglieder in deutschen Züge zu ihren Tod in Konzentrationslager deportiert waren, war eine weitere Basis für meine schreckliche Faszination für Züge; ich habe sogar von Höllenfahrten mit Dampfrössern und ihrem Personal geträumt. Und so entscheid ich mich, die alte Idee wieder aus den Akten hervor zu holen und als Party-Stück zu überdenken.
Aus den Festlichkeiten wurde dann doch nichts, aber während ich für das Projekt recherchierte, entdeckte ich, dass Beate Klarsfeld (geborene Künzel), die französisch-deutsche Aktivistin und Nazi-Jägerin, mit ihrer langjährigen Kampagne, die Ausstellung: “„11 000 jüdische Kinder – Mit der Reichsbahn in den Tod“ auf deutsche und österreichische Bahnstationen zu bringen, Erfolg gehabt hatte. Die Eröffnung sollte in Berlin am 27. Januar 2008 stattfinden, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des NS-Regimes. Diese Ausstellung, initiiert von Beate Klarsfeld und vom Verein „Söhne und Töchter der deportierten Juden Frankreichs“ (deren Präsident Serge Klarsfeld, Beates Ehemann ist), wurde zwischen 2002 und 2004 auf 18 französische Bahnstationen präsentiert; Deutschland war einer solchen öffentlichen Auseinandersetzung mit seiner Bahngeschichte bislang immer ausgewichen. Erst nach der Wiedervereinigung kam es zu ersten Versuchen einer näheren Aufarbeitung der Rolle der Reichsbahn während des Holocaust. Es wurde mir klar, dass eine Ehrung für Klarsfeld die rechte Gelegenheit bieten würde ein Video über die Züge des Holocausts zu machen.
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Über die Jahre hinweg nahmen Umfang und Komplexität der Postkarten-Kollektion in dem bereits erwähnten Buchladen zu. 2007 kaufte ich endlich eine große Stückzahl und wählte daraus 80 aus – Bilder von Zügen in europäischen Orten, von wo aus Deportationen in die Konzentrationslager gemacht werden würden. Ich entschied mich, auch moderne und zeitgenössische Züge einzuschließen, um die wechselnden Ströme in Europa – und die Haltung diesem schrecklichen Erbe gegenüber, zu illustrieren. Ich würde die auf der Rückseite vermerkten Informationen über die Zugmodelle unter den Videobildern angeben – es gibt kein gesprochenes Wort wie in den anderen Arbeit Reichs, aber diese gedruckten Wörter verweisen auf eine Detailversessenheit, die den Täter abging, wenn es sich um Menschen statt Maschinen handelte. Absurd integriert sind ein paar Züge mit Sonderlackierung: „Aspirin Plus C“ und „25 Jahre Sendung mit der Maus„.
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2006 machte ich die Bekanntschaft der israelischen Künstlerin/Aktivistin Ronni Shendar und ihres deutschen Partners Till Rohmann, als sie mich einluden an dem c.sides-Festival für Elektronische Musik und politische Medienkunst in Jerusalem teil zu nehmen. Sie organisieren es gemeinsam, Till ist selbst auch Künstler, Aktivist, Autor und Musiker. Ich habe ihn oft seine eigene DJ-Kompositionen gehört und mir gefiel sein komplexer Umgang mit elektronischer Tanzmusik. Ich habe Till eingeladen Musik für das Video Trains zu komponieren:
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„ich hatte einen Lehrer
ein sehr großer Mann, sein Haar war glatt wie Beton
er sagte: ‚Schwarze Krähen haben unser Land vor vielen Jahren erobert’
und er zeigte genau auf mich“2
Krähen sind ein Charakteristikum des gesprochenen Texts des Librettos von Steve Reich “Different Trains”. Das war einer der ersten Gedanken, als ich die ersten Probe-Zusammenschnitte von 10 Seconds hörte (10 Seconds sollte der Titel einer neuen Komposition für Trains sein). Die Krähen sind ein Zufall, aber die rohen und beunruhigenden Aufrufe, die Till Rohmanns 10 Seconds durchdringen, sind passend. Till hatte 10 Sekunden Geräusche-Atmosphäre von einem gemeinsamen Freund, Menachem Roth, bekommen, die dieser bei Dreharbeiten für ein eigenes Projekt im Konzentrationslager Majdanek aufgenommen hatte. Diese 10 Sekunden wurden zu einer Basis, aus der Till Rohmann eine digitale Sound-Symphonie konstruierte. Es ist eine persönliche Entscheidung von mir, keine Konzentrationslager zu besuchen, aber auch Till, der schon an solche Orten gewesen ist, entschied sich, diesmal mit sekundärem Material zu arbeiten.
Was geschieht in 10 Sekunden? Meine Impressionen Vorstellung zur Komposition 10 Seconds, die 21 Minuten lang ist:
Das musikalische Stück beginnt mit einer Art Stille – der nahezu unverändert atmosphärische Laut des Originals.
Nach anderthalb Minuten ertönen pseudo-Orgeltöne, harmonisch, organisch.
Krähen beginnen zu krächzen, das reale Geräusch der ursprünglichen Aufnahme. Darunter rinnt eine Atmosphäre der Stille.
Dann nacheinander Geräusche im Wechsel: von Unterwasser Blubbern das Ertrinken suggeriert… Leise: Das Pulsieren – wie atmen – sanft, für eine Zeitlang.
Es verlangsamt sich zu fast keinem Geräusch. Hört tatsächlich auf im Mittelpunkt des Stücks.
Und fährt dann mit quietschenden Tönen fort.
All diese verschiedenen Resonanzen sind über viele Minuten hin gestreckte Dissonanzen.
Dann legt sich kaum spürbar/eine Zeitlang ein pulsierender Basston darunter.
Die hohe Tonhöhe und die Krähen kehren abgeschwächt zurück, aber die dissonanten Akkorde gewinnen und trompeten penetrant ihren Triumph heraus.
Letztendlich hören wir die Krähen und blubbernden Schallreflexionen pulsieren während die Disharmonie verblasst, zurück kehrt und alle Töne miteinander verschmelzen.
Tanya Ury 2007
1 Aus dem CD-Erläuterung zum Programm “Different Trains”, Steve Reich August 1988
2 Aus Sektion II: Europa – Während des Krieges, das Libretto von “Different Trains” von Steve Reich, Ebenda 1
Till Rohmann AKA Glitterbug ist als DJ, Produzent und Musiker tätig. Sein Repertoire reicht von Experimentellem über fetzige Beats bis hin zu Club-Musik. Ferner ist Glitterbug an Projekten in ganz Deutschland beteiligt, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Lücke zwischen verschiedenen Kunstformen und experimenteller Musik sowie Club-Musik zu schließen.
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Glitterbug – 10 Seconds
21 Minuten 5 Sekunden
Komponiert und produziert 2007 von Till Rohmann
Veröffentlicht von Copyright Control
’10 Seconds’ entwickelte sich, als Tanya Ury mir von ihrem alten/neuen Projekt ‘Trains’ erzählte. Wir diskutierten verschiedene Möglichkeiten einer Vertonung für ihre Arbeit und Tanya suchte nach angemessenenen Audio-Interpretationen für ihr Projekt.
In diesem Zusammenhang fragte sie mich, ob ich Lust hätte, einen eigenen Vorschlag zu unterbreiten. Meine anfängliche Idee war es, eine Vertonung zu kreieren, die “harmlos” und “unschuldig” klingen sollte, und ihre Bedeutung lediglich durch den Kontext der Entstehung und Wiedergabe erhalten würde. In meinem Gefühl wäre dieses etwas was Tanyas Arbeit ebenfalls repräsentiert- scheinbar bedeutungslose, manchmal sogar schöne Bilder erhalten eine zweite Bedeutung sobald der Betrachter den Kontext der Gesamtarbeit kennt.
Ich begann an verschiedenen Ideen zu arbeiten, ausgehend von der Grundidee, das ich an die Orte der Vernichtung, die Endstationen der Deportationen fahren und dort “Stille” an den ehemaligen Orten der Vernichtung aufnehmen wollte. Ich wollte die so entstandenen Aufnahmen von “harmlosen” Sounds und Geräuschen von in erster Linie “Nichts”- vielleicht Wind in den Mikrofonen, Vögeln, Regen, vorbeifahrenden Autos oder Wind in Bäumen- unbearbeitet abspielen um auf diese Weise dem Zuhörer zu ermöglichen eine eigene Verbindung zum Kontext einzugehen, lediglich durch die eigenen Konotationen zum Leben erweckt.
Mein Ansinnen war es die Rezeptionen der Zuhörer als integralen Teil der Arbeit einzubinden- wie unterschiedlich klingt ein leeres Feld am Ort eines ehemaligen Vernichtungslagers anders als ein leeres Feld sonstwo? Der Zusammenhang und das Verhältnis zum Gehörten erschließt sich nur, wenn der Zuhörer den Kontext des wahrgenommenen kennt, und, wenn das Konzept aufgeht, werden die Rezeptionen des Zuhörers der stärkste und tragendste Teil der Arbeit.
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nicht die Möglichkeit selbst an die Orte der Vernichtung zu reisen wie ich eigentlich vorhatte. Ich fragte dann einen gemeinsamen Freund von Tanya und mir, Menachem Roth, welcher kurz zuvor eine Videoarbeit, die sich mit dem Holocaust und seiner Familiengeschichte (Teile seiner Familie sind Holocaustüberlebende) beschäftigt, fertig gestellt hatte. Teile dieser Arbeit wurden auf dem Gelände des ehemaligen Arbeits- und Vernichtungslagers Majdanek, ca. 4 km von der ostpolnischen Stadt Lublin entfernt, gefilmt. Ich fragte ihn nach ein paar Minuten roher Fieldrecordings aus seinem gefilmten Ausgangsmaterial; alles was wir finden konnten waren wenige Momente von Stille, da in dem Großteil des Materials zusätzliche Geräusche wie Stimmen, Schritte, Fahrgeräusche, Atmen etc. zu hören waren.
Ich konnte in dem Ausgangsmaterial exakt 10 Sekunden “Stille”, aufgenommen auf dem Gelände des ehemaligen Vernichtungslagers Majdanek, finden, mit dem ich weiter arbeitete. Durch filtern, komprimieren, verstärken, weiterverarbeiten etc. dieser paar Sekunden entstand “10 Seconds”- alle Geräusche, Töne etc. basieren, in zumeist verfremdeter Form, auf diesen anfänglichen 10 Sekunden.
Die 21 Minuten von “10 Seconds” spiegeln den Prozess meiner eigenen Rezeptionen, Prozesse, Gefühle, Bilder, Erinnerungen (ich selbst habe die Gelände der ehemaligen Konzentrations-/ Vernichtungslager Majdanek und die der Aktion Reinhard zwei Mal besucht) wieder, welche, wie ich schon früher schrieb, erst ihre volle Bedeutung erlangen wenn der Besucher /Zuhörer den Ursprungsort des Ausgangsmaterials kennt.
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Till Rohmann, aka glitterbug, ist Künstler, Musiker, Kurator, Produzent und DJ und lebt und arbeitet im Zwielicht zwischen Clubkultur, Kunst und Politik. Er ist auch der Kurator und Direktor des c.sides Festivals Israel /Deutschland sowie eine Hälfte von ‚Macabug‘, beides zusammen mit der israelischen Fotografin und Videokünstlerin Ronni Shendar.
Videotrailer 7 Minuten
Präsentation
2008 (15.2−30.3) Video-Projektion Installation, präsentiert im Rahmen der Gruppenausstellung „Politics”, Eröffnung 20 Uhr, Künstlerhaus Dortmund www.kuenstlerhaus-dortmund.de (D) Statement als PDF
Information
Konzept Tanya Ury
Edit Rainer Nelissen
Musik: Till Rohmann
Presse
2008 (2) Nadine Albach, Westropolis, über “Politics”, Künstlerhaus Dortmund (D) www.westropolis.de – Artikel als PDF
2008 (3−4) Ankündigung der Ausstellung „Politics“ in Kunstforum International Edition 190 (D)