XX

36 C‑Prints 

Der Titel XX bezieht sich auf die Doppel­be­lich­tung (englisch: double expo­sure“) eines Filmes, der meine Photoausstel­lung im Hotel Seehof Zürich, im April 2001 sowie die Termini-Tech­nici-Ausstel­lung in der Kölner Trini­tatiskirche, wo Gerhard Richter August 2001 zum ersten Mal Bridge 14 FEB 45” präsen­tierte, doku­men­tiert. XX” enthüllt nicht nur die Absur­dität von zwei ineinander verschlun­genen Ausstel­lungen; mit dieser Schich­tung von Bildern wird noch mehr entlarvt: ein christlich-sakraler und ein profaner Raum — Kirche und Hotelschlafz­immer — sind hier zusammen gebracht. 

2001 habe ich 3 Photo­se­rien im Hotel Seehof, Zürich präsen­tiert. Die Photogra­phien wurden sechs Monate lang in allen Hotelz­im­mern, Fluren, in Trep­pen­haus, Speis­esaal und Früh­stück­sraum ausgestellt; insge­samt konnte man 91 Bilder aus den Serien Ô d’Oriane 1997 – 2000 (13 Photos), Sonata in Sea 1999 – 2000 (17 Photos) und Hermes Insensed 2000 – 2001 (61 Photos), sehen. Gemeinsam unter dem Titel Insensed” ausgestellt, umfassten diese Serien Erzäh­lungen von Begeg­nungen aus meinem Leben, manchmal mit Referenzen auf die biblische Legende von Jacob und dem Engel, manchmal mit liter­arischen Assozi­a­tionen, mehr oder weniger offen­sichtlich mit der Shoah verbunden. Alle Arbeiten befassten sich intensiv mit dem menschlichen Porträt, Bildern und Texten (meine eigenen wie auch zitierte), in digi­tal­isierter handgeschriebener oder gedruckter Form. Ich doku­men­tierte die Ausstel­lung kurz vor der Eröff­nung am April 10. 

***

Einige Monate später nahm ich an Termin Tech­nici“ teil, einer Ausstel­lung in der Kölner Trini­tatis Kirche (einer säku­lar­isierten Kirche die für kulturelle Zwecke genutzt wird); dafür hatte ich zwei Neon-Arbeiten erstellt: wrestle­with­y­ourangel & neonazi 2001; es war das erste Mal, dass ich ein Kunst­werk in einem kirch­lichen Raum präsen­tierte; Bezugsrahmen war die biblische Geschichte von Jakob und dem Engel im zeit­genös­sis­chen Deutsch­land, in Verbindung mit dem Aufstieg des Neonazismus.

Diese Grup­pe­nausstel­lung schloss eine neue Arbeit von Gerhard Richter ein: Bridge 14 FEB 45”, 2000/​2001, ursprünglich als Offset­druck gestaltet, wurde zuerst in der Kirche als Altarstück – in Form eines großen Kunst­stoff-Vorhanges, gezeigt. Richter’s Vorlage war ein Photo, das Hein­rich Miess, ein Lith­o­graph, der viele Jahre für Richter gear­beitet hat, ihm geschenkt hat – Miess fand das orig­i­nale Doku­ment in der Schublade eines hinter­lassenen Möbel­stücks, als er mit seiner Lith­o­gra­phie- und Druck­firma in neue Räum­lichkeiten in Köln umge­zogen war. Unter Richters Anleitung hat Miess diese Abbil­dung für die Edition auf dem Computer digital bear­beitet und verfeinert. Die Photogra­phie zeigt eine Luftan­sicht des bombardierten Köln, aufgenommen von einem amerikanis­chen Piloten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, über dem Bonner Autobahnkreuz.

Termini Tech­nici stellte auch viele anderen Künstler vor, und später ist ein Katalog entstanden. 

***

Richter, der in den 1960er Jahren seinen photo­re­al­is­tis­chen Stil entwick­elte, hat sich schon in vielen seiner Arbeiten mit deutscher Geschichte auseinan­derge­setzt; Beispiele sind das Porträt seines Onkels in Nazi­u­ni­form, Onkel Rudi” (1965), und die October series” 18. Oktober 1977 aus 1988, die Presse-Auss­chnitte mit Photos der Baader-Meinhof-Terror­isten darstellte — all diese erwäh­nten Werke waren als Ölgemälde ausge­führt. Diese und viele andere Kunstar­beiten Richters sind durch eine verwischt wirk­ende Unschärfe gekennze­ichnet, die den Real­ismus der Vorlagen verfremdet; damit wollte er demon­stri­eren, wie Tatsachen“ von doku­men­tierten historischen Ereignisse fiktion­al­isiert sein können, wenn die gesamte Geschichte (noch) nicht greifbar ist — die Bilder wurden zu einem Zeit­punkt ange­fer­tigt, als Deutsch­land noch mit der Bear­beitung des Dritten Reichs sowie des RAF-Terror­ismus befasst war. 

***

Am Samstag vor der Ausstel­lungseröff­nung am 28. August 2001, hatte Hein­rich Miess, auch ein Freund von mir, mit einem Hinweis angerufen: Gerhard Richter ist ein schüchterner Mann“, meinte er, Er wird nicht zur Eröff­nung erscheinen, aber am Sonntag etwa um 13 Uhr wird er da sein, um sich die Ausstel­lung anzuschauen.“

Am Sonntag­morgen ging ich mit meinem Photoap­parat zur Kirche und doku­men­tierte erst Eric Witschke, den ehema­ligen Pastor und nun Kurator der Ausstel­lung, wie er Richters Bild (mit Hilfe von Stefan & Hein­rich) gehängt hat; dann Stefan Höller, vorma­liger Student Richters an der Düssel­dorfer Akademie, der sich mit Staffelei vor dem Altar platziert hatte, wo er ein Ölgemälde von Richters photographis­cher Arbeit malte; außerdem Hein­rich vor der Kirche mit meinen beiden Neonar­beiten, und schließlich Richters Besuch, als alle Kunstar­beiten schon aufge­hängt waren. Abge­sehen von mir waren diese Leute die einzigen Anwe­senden — und Abge­bildeten dieser exklu­siven Vorauf­führung an diesem Tag. 

***

Als ich die Photos von Richter und die Termini-Tech­nici-Ausstel­lung entwickeln lies, erkannte ich bestürzt, dass ich den Film mit meiner Zürcher und der Kölner Ausstel­lung doppelt belichtet hatte. Daraus war jedoch ein äußerst kurioser aber erfreulicher Hybrid entstanden. Die Doppel­be­lich­tung (der englische Titel XX“ entspricht dem Zeichen für double exposure/​Doppelbelichtung“) enthüllt auf einer ober­fläch­lichen Ebene die Absur­dität von zwei durcheinander gewor­fenen Ausstel­lungen; aber ich denke, dass mit dieser Schich­tung von Bildern viel mehr entlarvt wird: ein christlich-sakraler und ein profaner Raum — Kirche und Hotelschlafz­immer — sind hier zusammen gebracht.

Die am meisten faszinierenden Bilder sind jene von Stefan Höller, Richters früherem eifrigem Schüler, der in einer klas­sisch- modernistis­chen Pose mit Staffelei zu sehen ist; festgenommen in dem ernsthaften Prozess, das Bild des Meis­ters in Öl festzuhalten. Dessen Orig­inal“ ist para­dox­er­weise nicht ein Gemälde, sondern die digi­tale photographische Repräsen­ta­tion einer historischen Aufnahme, die emotional so befrachtet ist wie jene Bomben, die die zahlre­ichen auf der Photogra­phie erkennbaren Krater hergestellt haben. Diese Tautologie wird komplexer durch die Doppel­be­lich­tung, die ein Hotel-Doppel­bett vor dem Altar deponiert und dadurch eine unendliche Kombi­na­tion von Andeu­tungen und Zwei­deutigkeiten suggeriert. Referenzen werden weiter geschichtet in meinem Photo von Höller, der Richter und die kleine Gruppe in der Kirche selbst photogra­phiert. Und die Bilder der Leiter, die in der Kirche wie im Hotel zu sehen sind auch angedeutet durch Reihen von sprosse­nartig gehängten Photos spielen auf das Jakob­sleiter-Thema an, das auch mit meinen Neon-Arbeiten in die Trini­tatiskirche suggeriert wird. 

***

Am 14. September 2007 äußerte Kardinal Joachim Meisner (Erzbischof von Köln) ein provoka­tives und breit kritisiertes State­ment während einer Predigt im Kölner Dom; er beschrieb reli­gions­ferne“ Kultur als entartet“, ein Ausdruck, mit dem die Nazis modernistische Kunst beschrieben. Meisner bezog sich auf Gerhard Richters abstraktes Design eines Glas­fen­sters, das am 3. September im Kölner Dom eingeweiht worden war; dem Kardinal hätten Abbil­dungen biblis­cher Motive besser gefallen – er meinte, dass die nicht-gegen­ständlichen Orna­mente besser in eine Moschee gepasst hätten. Einige Pres­sev­ertreter merkten an, dass Richter sich bis dahin nie mit Kirchenkunst beschäftigt habe.1 Allerd­ings hat Gerhard Richter der Emmanuelkirche in Köln-Rondorf eine Kopie von Bridge 14 FEB 45” geschenkt. Diese Version, 277210 cm ist 2002 als Digi­tal­druck auf Kunst­stof­fgewebe hinter Ante­li­o­glas entstanden. Sie hängt seit dem 1. Dezember 2002 im Foyer des Gemein­dezen­trums der Evan­ge­lis­chen Kirchenge­meinde Rondorf.

Richter, der einem protes­tantis­chen Umfeld entstammt, äußerte sich schon 1988 zu seinen religiösen Empfindungen:

Die Kunst ist die reine Verwirk­lichung der Reli­giosität, der Glaubens­fähigkeit, Sehn­sucht nach Gott’. Alle anderen Verwirk­lichungen dieser erhe­blich­sten Eigen­schaft des Menschen sind Miss­brauch insofern, als sie diese Eigen­schaften ausbeuten, also in den Dienst einer Ideologie stellen. Auch Kunst wird zur ange­wandten Kunst’, wenn sie ihre Zweck­frei­heit aufgibt, wenn sie etwas mitteilen will; denn nur in absoluter Verweigerung jeder Aussage ist sie menschlich. Die Fähigkeit zu glauben ist unsere erhe­blichste Eigen­schaft, und sie wird nur durch die Kunst angemessen verwirk­licht. Wenn wir dagegen unser Glaubens­bedürfnis in einer Ideologie stillen, richten wir nur Unheil an.“2

In dem Gemein­de­brief 2473, 1. Advent 2002 – April 2003, aus dem diese (2) Zitaten stammen, und in dem Hein­rich Miess den Entste­hung­sprozess von Bridge 14 FEB 45” beschreibt, ist auch Richters Objekt Kreuz“ abge­bildet (1996, Gold, 19,51,5 cm). Richter sagt zu diesem Kunst­werk und seinem Verhältnis zu Gott:

Die Not zwingt uns, die Illu­sion aufzubauen, die uns das Über­leben möglich macht, und da sind verschiedene Formen des Glaubens und verschiedene
Glaubensin­halte die Möglichkeit, dieses Dasein zu ertragen und sich etwas vorzu­machen. Da gehört dann alles dazu, da ist alles möglich vom billig­sten, schäbig­sten Aber­glauben bis zu den kompliziertesten Glaubens­ge­bäuden. (…) Das goldene Kreuz ist nicht etwas ganz Bestimmtes, es ist auch ein biss­chen polemisch gemeint. Einmal ist es natür­lich eine Vernei­gung und Hochachtung vor unsere Geschichte der zweitausend Jahre christlicher Kultur. Das ist meine Heimat, das sind meine Wurzeln, das ist die Tradi­tion, die ich sehr hoch schätze und die viel komplexer ist, als alle Kritiker denken können. Zufällig kam dann auch dieses Zusam­men­tr­e­ffen mit dem Kreuzverbot in der Schule, das reizte mich zum Wider­spruch und ich fand es daher gut, dass ich es gemacht hatte.“3

Im Anbe­tracht der Anschuldigungen von Teilen der Presse, und angesichts der kontro­versen Haltung der katholis­chen Kirche Richter(s Kunst) gegenüber, hielt ich es für inter­es­sant, einen zweiten Blick auf meine XX Serie zu werfen, die ja tatsäch­lich eine frühere Auseinan­der­set­zung Richters mit Kirchenkunst belegt — in einem protes­tantis­chen Kontext (wenn auch nur vorüberge­hend), und unortho­doxer weise photogra­phiert von einer Jüdin.

Obwohl in der halb-religiösen Umge­bung der Trini­tatiskirche präsen­tiert, zeigt Richters (im Sinne Meiss­ners) durchaus gegenständliches/​dokumentarisches Bridge 14 FEB 45”, dennoch keine sakrale Szene – es sei denn, man würde dieses Kölner Bomber-Bild als apoka­lyp­tisch lesen.

Tanya Ury

1 Bislang hatte Gerhard Richter nichts mit Kirchenkunst zu tun.“ (Up till now Gerhard Richter has had nothing to do with church art) 28th July 2006 www​.spiegel​.de

2 Gerhard Richter Notizen“ 1988: 3.1.99, in H.-U Obrist, G. Richter Text 1993, S. (160164) 160f.

3 Glauben“, Gespräch mit Gerhard Richter, Babette Richter, in: dies., Der Andere 2002, S. 39 – 58), S. 55, 5758.



Präsen­ta­tion

2008 (24. – 26.4) 15 Photos (1318 cm) aus der Serie XX, Grup­pe­nausstel­lung, Kommen Sie Nach Hause 9, Kunst und Design Gere­on­swall 27a, Köln (D) www​.kommen​sien​ach​hause​.de

Scroll to Top