Don’t Call me Erotic

Ein special Event, kuratiert von Tanya Ury, mit:

Helena Gold­water: And the Hairs Begin to Rise, Perfor­mance
Fran Jacobsen: It’s a Mitvah, Film
Lily Markiewicz: Silence Woke Me Up Today, Video und Dias
Ruth Novaczek: Let Them Eat Soup, Video & Performance
Tanya Ury: Kölnisch Wasser, Video/​Performance

Artikel (Englisch und Deutsch) im Programmheft Femi­nale, Inter­na­tionales Frauen­Film­Fes­tival, Köln 1994 

Was bedeutet es, heutzu­tage jüdisch zu sein und diese Iden­tität zu leben? Ist es eine Art von Wider­stand oder eine defen­sive Haltung gegen die Äußerungen einer insti­tu­tion­al­isierten und weltumspanneneden Monokultur? Hat es etwas mit Rasse, Reli­gion, Politik oder Kultur zu tun? Ist es Teil einer Geogra­phie der gewün­schten Heimat oder eher das Nichtvorhan­den­sein eines ständigen Ortes? Oder ist es eine Geis­te­shal­tung, ein beset­ztes Gebiet’, legit­imiert im Körper? Diese Menschen wurden durch eine endlose Geschichte der Dias­pora, des Pogroms und des Holo­caust gedemütigt und zerstört; und ist es da nicht über­raschend dass diese Kultur in jeder Phase weiterexistiert?

Was bedeutet es, heutzu­tage jüdisch zu sein und diese Iden­tität zu leben? Ist es eine Art von Wider­stand oder eine defen­sive Haltung gegen die Äußerungen einer insti­tu­tion­al­isierten und weltumspanneneden Monokultur? Hat es etwas mit Rasse, Reli­gion, Politik oder Kultur zu tun? Ist es Teil einer Geogra­phie der gewün­schten Heimat oder eher das Nichtvorhan­den­sein eines ständigen Ortes? Oder ist es eine Geis­te­shal­tung, ein beset­ztes Gebiet’, legit­imiert im Körper? Diese Menschen wurden durch eine endlose Geschichte der Dias­pora, des Pogroms und des Holo­caust gedemütigt und zerstört; und ist es da nicht über­raschend dass diese Kultur in jeder Phase weiterexistiert?

Die jüdische Kultur wird oft als Teil der bestim­menden Rich­tungen in der Geschichte von Film, Musik, Liter­atur, Kunst und Wissenschaft ange­sehen, eine kreative Kultur also, die sich einbringt in jederzeit. Man könnte die jüdische Kultur als Kultur der Assim­i­la­tion beze­ichnen. Das Bild des Juden­tums in der Öffentlichkeit erfährt seit einiger Zeit eine Änderung; aus der Sympa­thie für verbannte, staaten­lose Opfer der rassis­tis­chen Gewalt in Europa wird Antipathie für kolo­nial­isierende Siedler in Israel. Doch es ist zu leicht, dies alles zu vere­in­fachen und in Stereo­typen zu verfallen.

In dem Programm Don’t call me Erotic” präsen­tieren fünf Frauen fünf verschiedene und aktuelle Inter­pre­ta­tionen, wie man Jüdis­ch­sein” als Frau empfindet, mit all seinen Wider­sprüchen, Konfu­sionen, aber auch mit den Festen, die daraus resul­tieren. Die einzelnen Stücke sind facetten­reich und multi­me­dial und so inter­na­tional wie die Dias­pora nomadische Züge trägt — und das, obwohl alle Künst­lerinnen in Großbri­tan­nien leben. Während die Stim­mungen in den einzelnen Stücken sehr stark voneinander abwe­iche, ähneln sie sich in ihrer Herange­hensweise, die als zeit­genös­sisch, provozierend und kompro­misslos beze­ichnet werden kann. Die meisten Künst­lerinnen haben Arbeiten geschaffen, die sich stark am Körper und an der Perfor­mance orien­tieren; sie legen damit ihren Kampf um Iden­tität in der eigenen Person fest.

In Don’t call me Erotic” präsen­tieren diese fünf voneinander unab­hängig arbei­t­enden Künst­lerinnen zu ersten Mal ihre Arbeit gemeinsam. Das erlaubt jeder Künst­lerin, die Unter­schiedlichkeit des Ausdrucks unter dem Dach einer Gruppe zu erfahren, die im selben Kontext steht und diesen Zusam­men­hang sichtbar macht als Zeugnis des eigenen Daseins, eines Daseins, das in Großbri­tan­nien großteils verleugnet wird. Zwar ist die britische Main­stream-Avant­garde bemüht, die Inter­essen der soge­nan­nten Minder­heiten zu vertreten, bisher jedoch gab es nur wenige Versuch, die sich entwick­elnde Kunst jüdis­cher Frauen zu dokumentieren.

In dem Programm setzen sich die Künst­lerinnen um Teil mit den Zwängen der jüdis­chen Reli­gion und Kultur auseinander und mit den Fesseln, die dies Kultur den Frauen anlegte. Zugleich wird aber auch die Erbschaft des Geschicht­en­erzäh­lens zele­briert, jene eige­nar­tige Mischung aus Reli­giosität und gesundem Hedo­nismus als lebens­be­ja­hender Geste, wo im Schatten eine Andeu­tung der Sterblichkeit lauert. Musik und Verschieden­heit der Sprache spielen in den meisten Arbeiten eine wichtige Rolle. Wirk­lich ungewöhn­lich ist die Art, wie sich die Frauen durch eine starke, selb­st­bes­timmte Sexu­al­ität erklären.

Der Titel Don’t call me Erotic” ist durch ein glück­liches Missver­ständnis entstanden. Laura Hudson, die diese Gruppe für einen special Event im Dezember 1993 bei der London Film Makers Co-op zusam­men­brachte, glaubte, einen Satz von Ruth Novaczeks Live-Perfor­mance zu zitieren, als sie sagte: Don’t call me Erotic”. Don’t call me neurotic” ist eine uralte jüdische Klage, die wie folgt umschrieben werden kann: Ich habe zweitausend Jahre Exil, Sklaverei und Ghet­to­da­sein über­lebt; dieser Zustand ist jetzt ins Blut überge­gangen, ins Unter­be­wusst­sein und ins wache Bewusst­sein. Es macht mich wahnsinnig, aber wer seid ihr, mich zu beurteilen?

Tanya Ury


Präsen­ta­tion

1994 Publiziert im Programmheft für die Femi­nale, Inter­na­tionales Frauen­Film­Fes­tival, Köln (D)

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